Arbeitsgemeinschaften im SDD

Die Arbeitsgemeinschaft „Postmigrantische Deutschdidaktik“ setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich vor dem Hintergrund migrationsgesellschaftlicher (Mecheril 2004) Entwicklungen, Erscheinungen und Erfordernisse der Deutschunterricht als „Schlüsselfach für […] migrationsgesellschaftliche Bildung“ (Rösch 2017: 1) und somit die Deutschdidaktik weiterentwickeln und z.T. auch erneuern kann bzw. soll.

DDie AG nimmt damit eine spezifische Perspektive auf diversitätsrelevante Fragestellungen ein und setzt sich zum Ziel, diese unter Rückgriff auf das diskurs- und dominanzkritische Paradigma des Postmigrantischen für den deutschdidaktischen Kontext zu untersuchen und fruchtbar zu machen.
Zentral für die Arbeit der AG ist ein Verständnis von Migration, das diese als Motor gesellschaftlicher Veränderungsprozesse wahrnimmt. Diese mit Migration einhergehenden Veränderungen sind wiederum mit grundlegenden gesellschaftlichen Fragestellungen und auch Herausforderungen verbunden, die vor allem auf der bildungsinstitutionellen Ebene neuer Perspektiven und Paradigmen bedürfen, die über etablierte Maßnahmen, die binäre Logiken und bestehende Hierarchien reproduzieren, deutlich hinausgehen.
Eine hierfür geeignete Perspektive bietet das Paradigma des Postmigrantischen. Immanent ist diesem die „Kritik an [einer] Beschäftigung mit Migration, die Wanderung vorrangig problematisiert und binäre Kategorien verfestigt“ (Foroutan et al. 2018: 10), was eine „reduktionistische Wissensproduktion“ (ebd.) und im Zuge dessen eine diskursive Konstruktion von defizitären „Migrationsanderen“ (Mecheril et al. 2010) begünstigt. Das postmigrantische Paradigma strebt hingegen eine gegenhegemoniale Wissensproduktion an; übergeordnetes Ziel ist es dabei, das Phänomen der Migration neu zu erzählen und zu interpretieren und Migrationserfahrungen insofern zu normalisieren, als diese von ihrer im öffentlichen Diskurs vorhandenen Konnotation des Ausnahmezustandes gelöst werden. Das Postmigrantische verkörpert somit eine „kontrapunktische Deutung gesellschaftlicher Verhältnisse“ (Yildiz 2018: 31). Als solche suspendiert es soziale Sortierungen und stellt konstruierte und statisch-binäre Kategorien der (Nicht-)Zugehörigkeit in Frage, auch weil es den Blick auf migrationsgesellschaftliche Uneindeutigkeiten, Hybriditäten, Überschneidungen und Überlappungen lenkt. Es macht „marginalisierte Wissensarten sichtbar“ (ebd.: 21), die ihrerseits die genannte reduktionistische Wissensproduktion über Migration außer Kraft setzen. Damit bricht es mit der hegemonialen Lesart der Migration und weist in diesem Sinne durchaus Parallelen zum postkolonialen Diskurs auf.
Eine solche Perspektive hat vielfältige Konsequenzen für die Deutschdidaktik, die sich – bereits vorhandenen kritisch-reflexiven Überlegungen und Konzeptionen zum Trotz – in ihrer Reaktion auf migrationsgesellschaftliche Entwicklungen bisher noch nicht konsequent von dichotomen Kategorien des Eigenen und des Anderen lösen konnte und sich in ihren grundlegenden Perspektiven, Konzeptionen und Überlegungen hauptsächlich an einem nicht migrierten Eigenen orientiert. Eine postmigrantische Deutschdidaktik hingegen verändert und erweitert das institutionelle Verständnis der primären Zielgruppe (meist Lernende ohne einen attestierten Migrationshintergrund), die bislang entlang natio-ethno-kultureller Zugehörigkeitsdimensionen konstruiert wird. Dies bleibt seinerseits nicht folgenlos für a) deutschdidaktische Modelle, Konzeptionen, Gegenstände, Methoden und Aufgabenstellungen, b) deutschdidaktische Forschung und auch c) deutschdidaktische Lehrkräftebildung. Somit setzt die postmigrantische Deutschdidaktik umfassend auf verschiedenen bildungsinstitutionellen und deutschdidaktisch relevanten Ebenen an und sich zum Ziel, die Deutschdidaktik ausgehend von migrationsgesellschaftlichen Entwicklungen und Erfordernissen zu denken und weiterzuentwickeln. Für die AG-Arbeit entstehen aus dieser Perspektive heraus folgende – exemplarische – Fragestellungen:

  • Wie konstruiert die Deutschdidaktik ihre (primäre) Zielgruppe? Welche Topoi sowie Positionen werden mit Migration verknüpft? (Inwiefern) werden hierbei Hierarchien hergestellt?
  • Wie löst man sich von Dichotomien, wenn man zugleich soziale Situierungen markieren möchte, um ein Desiderat zu problematisieren und zu überwinden?
  • Wie kann eine postmigrantische Deutschdidaktik für die unterschiedlichen Lernfelder des Deutschunterrichts modelliert werden? Inwiefern können/sollen etablierte Modelle und Konzeptionen aus der postmigrantischen Perspektive erweitert oder angepasst werden?
  • Welche Konsequenzen hat das postmigrantische Paradigma für die Wahl (und Deutung) der Gegenstände des Deutschunterrichts? Was bedeutet das mit Blick auf Methoden und Aufgaben?
  • Inwiefern reproduziert deutschdidaktische Forschung migrationsbezogene Positionierungen und ggf. auch Inferiorisierungen, die es aus einer postmigrantischen Perspektive zu überwinden gilt?
  • Wie konturiert sich eine postmigrantisch ausgerichtete deutschdidaktische Lehrkräftebildung? Welche Themenfelder, Perspektiven und Kompetenzen sind hierbei relevant?

Mitgliedschaft:

Die AG steht allen interessierten SDD-Mitgliedern offen. Wir arbeiten eng mit der AG „Macht – Wissen – Subjekt(e)“ sowie der AG „Diversitätsorientierte Deutschdidaktik“ zusammen und begrüßen diesbezügliche Mehrfachmitgliedschaften ausdrücklich.
Bei Interesse melden Sie sich bitte bei den AG-Sprecher*innen Nazli Hodaie (nazli.hodaie@ph-gmuend.de) und Hannes Schweiger (hannes.schweiger@univie.ac.at).
AG-Strukturen: Workshops/Tagungen (inkl. Beratung wiss. Nachwuchses); Mitglieder-versammlung

Verwendete Literatur:

  • Foroutan, N./Karakayali, J./Spielhaus, R. (2018): Einleitung: Kritische Wissensproduktion zur postmigrantischen Gesellschaft. In: Dies. (Hrsg.): Postmigrantische Perspektiven – Ordnungssysteme, Repräsentationen, Kritik. Frankfurt/M. u.a.: Campus, 9–16.
  • Mecheril, P. (2004): Einführung in die Migrationspädagogik. Weinheim u.a.: Beltz.
  • Mecheril, P./Castro Varela, M./Dirim, İ./Kalpaka, A./Melter, C. (Hrsg.) (2010): Migrationspädagogik. Weinheim/Basel: Beltz.
  • Rösch, H. (2017): Deutschunterricht in der Migrationsgesellschaft. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler.
  • Yildiz, E. (2018): Ideen zum Postmigrantischen. In: Foroutan, N./Karakayali, J./Spielhaus, R. (Hrsg.): Postmigrantische Perspektiven – Ordnungssysteme, Repräsentationen, Kritik. Frankfurt a. M. u. a.: Campus, 19–34.